Warum verstehen manche Kinder Mathe nicht?

Tipps für Eltern
Jana Sabrowski
August 28, 2023

Von den falschen Lernstrategien bis hin zur Dyskalkulie – in diesem Beitrag soll genauer darauf eingegangen werden, weshalb viele Kinder große Schwierigkeiten im Fach Mathematik haben.

Früher war ich selbst von Mathe geplagt, da es das einzige Fach neben Physik war, in dem ich mich von Jahr zu Jahr gequält habe. Alle anderen Fächer stellten kein Problem dar, aber bei Mathe kam mein Durchbruch erst in der 10. Klasse. Analysiere ich meinen Weg heute selbst, weiß ich, dass die Probleme bereits in der Grundschule anfingen, und das ist keine Seltenheit.

Falsches Lernen fängt bereits in der Grundschule an

Viele Erwachsene denken, dass Mathematik in der Grundschule nicht so schwer sein kann und verstehen die Schwierigkeiten der Kinder wenig. Für ein kleines Kind, das gerade aus dem Kindergarten kommt, ist das Bewegen und Spielen viel wichtiger, als sich logisch-mathematisches Denken anzueignen. Deshalb ist mathematisches Verständnis aufzubauen, oft gar nicht so einfach. Außerdem ist die Entwicklung bei Kindern unterschiedlich. Was also Leo bereits kann und ihm Spaß macht, wie das Bearbeiten von 1x1 Blättern, versteht Max noch nicht und findet keinerlei Zugang dazu. Er malt eigentlich lieber. Das heißt allerdings nicht, dass Max generell weniger kann oder gar weniger intelligent ist.

Was dann oft passiert ist, dass Kinder Mathe auswendig lernen, ohne die eigentlichen Rechenwege zu begreifen. Studien zufolge kommen die meisten Kinder damit sogar durch, oft sogar mit guten Noten. Allerdings zeigt sich fehlendes Verständnis in der weiterführenden Schule und kann zum Fallstrick werden.

Früher oder später führt das Auswendiglernen zu gravierenden Problemen, weil es ab einem bestimmten Punkt nicht mehr reicht, sondern echtes Verständnis erforderlich ist.

Eine frühe Intervention lohnt sich

Für Eltern gilt es daher bereits in der Grundschule darauf zu achten, wie das Kind lernt. Schreibt es z.B. immer wieder nur ab oder wendet es auch an? Kann es selbstständig erklären oder fehlt ihm noch die Anschaulichkeit?
Ein praktischer Tipp: Es gibt sehr viele mathematische Lernspiele, die speziell für Kinder sind und sich lohnen, wenn es dem Kind vor Matheaufgaben auf dem Blatt graut.  

Lernforschern zufolge sollten dabei insbesondere die drei folgenden Bereiche angesprochen werden:

  • Mengenverständnis
  • Kopfrechenfertigkeit
  • Zusammenhänge und Sinn der Grundrechenarten

Weiterhin wichtig als Eltern: Sehen Sie Übungen, Spiele oder Aufgaben nicht als Probe oder Prüfung an und geben Sie Ihrem Kind kein wertendes oder gar verurteilendes Feedback. Loben Sie es vielmehr für seine Ideen und Handlungen – gerade in spielerischen Phasen. Eine negative oder vielleicht sogar entsetzte Reaktion lässt Kinder schnell zurückschrecken und verweigern.

Bereits vor der Einschulung empfehlen Lernforscher dem Kind einige grundlegende Fertigkeiten spielerisch zu vermitteln, sofern dies nicht oder nicht ausreichend im Kindergarten passiert ist. Diese sind:

  • Zähl- und Ziffernschreibfähigkeit im Zahlenraum bis 10: Das Kind sollte die Zahlen bis 10 kennen und bis 10 zählen können.
  • Zahlenverständnis: Beispielsweise was bedeutet eine Menge von 4?
  • Mengenkonstanz: Verständnis dafür, dass die Menge sich nicht mit dem Raum ändert.

Hat das Kind zuvor keinerlei Zugang zu logisch-mathematischen Strukturen erhalten, sehen Forscher:innen und Lernpsycholog:innen Probleme als wahrscheinlicher an.

Mein Kind kann keine Transferaufgaben lösen

Oftmals haben Kinder Probleme, Transferaufgaben zu lösen. Hier können Sie die ganze Familie mit einbeziehen. Stellen Sie die beschriebene Situation nach und verdeutlichen Sie so die Zusammenhänge. Anschließend lassen Sie Ihr Kind die Aufgabe lösen.

3 Tipps gegen Mathe-Abneigung:

Tipp 1: Geschlechterklischees vermeiden

Bis heute ist es ein verbreitetes Vorurteil, dass Männer im naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich einfach besser sind als Frauen oder Mädchen. Nehmen Sie davon Abstand, denn zu Beginn der Einschulung können diese Unterschiede nicht gefunden werden. Man kann deshalb annehmen, dass diese im Laufe der Sozialisation entstehen und das vor allem aufgrund dieses Vorurteils. Machen Sie Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn also klar, dass jedes Fach für jeden etwas sein kann.

Tipp 2: Als Vorbild vorangehen

Kinder lernen am Modell, das bedeutet, dass Sie Bezugspersonen nachahmen. Sie übernehmen also gewisse Haltungen ihrer Eltern. Sie als Eltern sollten sich deshalb der Mathematik nicht zu abgeneigt zeigen. Natürlich gilt das nicht nur für Sie als Eltern, auch Lehrer und Geschwister können als Model dienen. Man sollte einem Kind daher niemals Sätze sagen wie: „Ich habe Mathe schon immer gehasst“.

Tipp 3: Relevanz verdeutlichen

Zeigen Sie Ihrem Kind, wofür es all diese Berechnungen gebrauchen kann. Scheint es nicht relevant, sind wir Menschen weniger bereit, uns damit ernsthaft zu befassen. Mathematik brauchen wir auch im Alltag. An der Kasse könnten Sie so Ihr Kind bitten zu berechnen, ob Sie das korrekte Wechselgeld erhalten haben. Oder backen Sie gemeinsam einen Kuchen, auch hier wird klar, dass Zahlen eine große Rolle im realen Leben spielen.

Die Dyskalkulie

Sich mit den mathematischen Grundlagen zu befassen und seine Lernstrategien zu ändern, reicht bei manchen Kindern jedoch nicht aus. Schätzungsweise sind 6 Prozent der Grundschüler:innen von einer Rechenschwäche, auch Dyskalkulie genannt, betroffen.

Was sind die Anzeichen?

Hier ein kurzes Fallbeispiel:

Timi geht in die 7. Klasse an einem Gymnasium. Er hat im Fach Mathematik die Note „ungenügend“, während er in allen anderen Fächern gute Noten hat. Inzwischen hat er zunehmend Angst vor dem Matheunterricht und sagt von sich selbst: „Ich bin dumm“. Häufig leidet Timi vor der Schule auch an Bauch- und Kopfschmerzen.

Kann man hier überhaupt von einer Rechenschwäche in Form einer Dyskalkulie sprechen? Die Eltern von Timi sollten auf jeden Fall mit ihm zu einer Kinderpsycholog:in gehen und sich Rat einholen, denn bisher ist tatsächlich nicht genau geklärt, wie eine Rechenstörung entsteht. Mehrere Faktoren können zusammenspielen. Dabei haben Forscher:innen herausgefunden, dass es einerseits genetische Komponenten gibt und so oftmals zum Beispiel bereits ein Elternteil oder Geschwisterkind von einer Rechenstörung betroffen ist.

Außerdem können psychische und soziale Faktoren dazu führen, dass sich eine Rechenschwäche verschlimmert. Das kann in Timis Situation auch der Fall sein, da er zunehmend Angst hat, sich dadurch selbst demotiviert und schließlich sogar psychosomatische Beschwerden zeigt, wie Bauchweh und Kopfweh. Ausgeschlossen werden kann auch nicht, dass Rechenfähigkeiten in der Schule schlecht vermittelt wurden und hier nun besondere Hilfestellung nötig ist.

Es wird vermutet, dass Rechenstörungen und auch Lesestörungen ein Resultat von Besonderheiten in der Hirnfunktion sind.  Sofern keine gezielte Therapie durchgeführt wird, bleibt die Rechenstörung meist bis ins Erwachsenenalter bestehen.

Diagnose

Die Dyskalkulie wird in der Regel durch mehrdimensionale Tests festgestellt. Dazu gehören Gespräche mit den Eltern und der Klassenlehrer:in. Außerdem wird eine Verhaltensbeobachtung durchgeführt. Natürlich werden bei der Diagnose auch andere Erkrankungen oder Störungen ausgeschlossen. Zudem wird ein psychometrischer Test durchgeführt. Dieser Test erfasst den IQ und die Rechenfähigkeiten. Liegt der IQ im Normalbereich, aber die Rechenfähigkeit weicht um mindestens zwei Standardabweichungen vom Mittelwert ab, dann kann eine Rechenstörung diagnostiziert werden. Denn dann weicht die Rechenfähigkeit erheblich von der Rechenfähigkeit anderer durchschnittlich intelligenter Kinder ab.

Behandlung und Umgang

Bei Rechenstörungen sollte möglichst frühzeitig interveniert werden. Am besten sollte mit der Förderung bereits zu Beginn der Grundschule begonnen werden. Dabei ist es sinnvoll, mehrere Methoden gleichzeitig zu verwenden, um das Kind so ideal zu fördern.
Dazu gehört die Aufklärung der Eltern, des Kindes selbst und der Lehrer:innen über die Rechenstörung. Eltern sollten sich regelmäßig von Fachpersonal beraten lassen. Das Kind selbst sollte beim Rechnen gezielt gefördert werden und auch psychotherapeutische Interventionen in Anspruch nehmen.

Neben einer Therapie, die dann eine gezielte Förderung der Rechenfähigkeiten vorsieht, ist das Verständnis der Eltern sehr wichtig. Diese sollten ihrem Kind genügend Geduld und Verständnis entgegenbringen und es bei Fehlern nicht kritisieren oder unter Druck setzten. Die Beratung der Eltern soll sie dahingehend unterstützen, das Selbstvertrauen des Kindes zu stärken und ihm Halt zu bieten. Außerdem sollten positive Verstärkungen und Phasen ohne Leistungsdruck geschaffen werden, in denen sich das Kind entspannen kann.

Weiterhin wichtig: Wurde die Diagnose einer Rechenstörung gestellt, können Eltern in einigen Bundesländern (jedoch nicht in allen!) einen Nachteilsausgleich beantragen.

In Kürze

Abschließend ist festzuhalten, dass das mathematische Verständnis sich nach und nach aufbaut und die Grundschulphase dabei in der Entwicklung eine zentrale Rolle spielt. Kinder sollten immer erst die Grundlagen verstehen, um dann schwerere Rechenaufgaben zu lösen. Eine spielerische und angstfreie Lernumgebung ist dabei äußerst wichtig, da sich durch Angst und Druck Blockaden manifestieren und diese Rechenschwächen begünstigen.

In höherem Alter empfiehlt es sich oft, in Gruppen mit anderen Schüler:innen zu lernen, die einem Rechenschritte und Wege noch mal anders erklären können. Viele Jugendliche, die in Mathe Schwierigkeiten haben, müssen oftmals Grundlagen nacharbeiten und haben falsche Wege bereits so manifestiert, dass sie durch andere (d. h. andere Schüler:innen oder eine Tutor:in) aufgebrochen und neu gelernt werden müssen.

Jana Sabrowski
Tutor
Quellen
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(**Quelle: Trustpilot, Stand: 20.02.2023)